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Pflegeversicherung – mögliche Änderungen

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat mit Beschluss vom 7. April 2022 (1 BvL 3/18, 1 BvR 2824/17, 1 BvR 2257/16, BvR 717/16) entschieden, dass das aktuelle Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 Sätze 1 und 2 sowie § 57 Absatz 1 Satz 1 SGB XI) mit Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar ist, da beitragspflichtige Eltern in der sozialen Pflegeversicherung unabhängig von der Anzahl der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder mit gleichen Beiträgen belastet werden. Diesem Beschluss gingen die Vorlage eines Sozialgerichts sowie zwei Verfassungsbeschwerden voraus. Geklagt hatten unter anderem drei Elternpaare mit mehreren Kindern aus Baden-Württemberg. Sie sind der Ansicht, dass die Anzahl der Kinder bei der Beitragsgestaltung in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung berücksichtigt werden müsse.

Das BVerfG entschied, dass im derzeit geltenden Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung Eltern mit mehreren Kindern gegenüber solchen mit wenigen Kindern benachteiligt sind, da der mit der steigenden Kinderzahl anwachsende Erziehungsmehraufwand nicht berücksichtigt wird. Die wesentlichen Aussagen des Senats lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 GG) leitet sich ein Gebot der Belastungsgleichheit ab, das für alle Abgaben – also auch die Sozialversicherungsbeiträge – gilt. Gleichzeitig ergibt sich auch ein Differenzierungsgebot, wenn offensichtliche Unterschiede bestehen. Es ergibt sich demnach eine Verletzung des Gleichheitsgrundrechts, wenn der Gesetzgeber es versäumt, „tatsächliche Ungleichheiten des zu ordnenden Lebenssachverhalts zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie beachtet werden müssen.“
  • Die Tatsache, dass alle beitragspflichtigen Eltern im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung – unabhängig von der Anzahl ihrer Kinder – gleichbehandelt werden, bewirkt eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem zum Nachteil kinderreicher beschäftigter Eltern, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.

Damit stellt der Senat eine Ungleichbehandlung fest, die vom Gesetzgeber beseitigt werden muss. Je mehr Kinder beitragspflichtige Eltern aufziehen, desto größer ist ihr wirtschaftlicher Erziehungsaufwand. Als Begründung nennt der Senat hier unter anderem, dass es in einem Haushalt mit nur einem Kind wesentlich leichter ist, dass beide Elternteile Vollzeitarbeit leisten.

Auswirkungen der BVerfG-Entscheidung

In der Pflegeversicherung soll die Anzahl der Kinder beitragspflichtiger Eltern bei der Beitragsgestaltung berücksichtigt werden, um den wirtschaftlichen Kindererziehungsaufwand zu kompensieren.

In welcher Art und Weise dies geschehen soll, hat das BVerfG nicht zu entscheiden. Dies ist die Aufgabe des Gesetzgebers.

Wichtig:

Dem Gesetzgeber wurde eine Frist bis zum 31. Juli 2023 für die Umsetzung einer geänderten Regelung eingeräumt.

Krankenversicherung

In der Krankenversicherung wird auf eine Berücksichtigung der Anzahl der Kinder verzichtet, weil alle Kinder bereits durch die kostenfreie Familienversicherung Leistungen erhalten. Der erhöhte Bedarf an Krankenversicherungsschutz steht hier einem erhöhten Unterhaltsaufwand gegenüber. Der Senat hat in seiner Begründung dazu festgestellt, dass Artikel 3 Absatz 1 GG nicht dadurch verletzt wird, dass Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung mit Kindern mit einem gleich hohen Krankenversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden.

Rentenversicherung

In der Rentenversicherung werden bereits Kindererziehungszeiten berücksichtigt, sodass auch hier keine Maßnahmen durch den Gesetzgeber erforderlich sind. Die gleiche Beitragsbelastung von Eltern und Kinderlosen wird in der gesetzlichen Rentenversicherung so gerechtfertigt, dass der wirtschaftliche Aufwand der Kindererziehung durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten für die ersten drei Jahre pro Kind anerkannt wird. Außerdem entsteht nach der Erfüllung der Wartezeit durch die Kindererziehungszeit eine eigenständige Rentenanwartschaft.